The contemporary culture of China
[German.] Wenn wir von einer 'Kultur' sprechen, so müssen wir uns
bewusst sein, dass mit diesem Begriff komplexe Strukturen sowohl der
Wirklichkeit (ontologische Welt) als
auch der Geisteswelt (Werte, Normen, Überzeugungen, religiöse
Vorstellungen etc.) beschrieben werden. Die Verwendung des
Begriffs an sich erweckt den Anschein, als könne man 'Kultur' objektiv
definieren,
sozusagen als jemand, der oberhalb oder außerhalb von Kulturen steht.
Diese Objektivität kann jedoch nie erreicht werden, da auch derjenige,
der eine Kultur definieren möchte, dieser oder einer anderen Kultur
angehört. Wenn man dies im Hinterkopf behält, ist der
Begriff ein nützliches Werkzeug. Kulturen liefern
ihren Mitgliedern Antworten auf wesentliche Fragen der Existenz.
"Kultur" wird in vielen Disziplinen definiert und ist der
Kernbegriff der jungen Kulturwissenschaften. Eine kurze Definition
könnte lauten:
"Kultur
ist ein künstlich geschaffenes, erlernbares System von Denkmustern,
Werten, Vorstellungen, Konventionen, Traditionen, Riten,
Ausdrucksformen und Weltanschauungen, das von einer Gruppe geteilt
wird."
Bei der Verwendung der Kategorie "Kultur" sollte beachtet werden, dass
man
1. sich des dynamischen Charakters von Kultur bewusst bleibt. Die
Kultur einer Kulturgruppe kann zu unterschiedlichen Zeitpunkten in der
Geschichte unterschiedlich sein. Wenn wir uns nun mit der
Gegenwartskultur Chinas beschäftigen, so kommen wir sicherlich, je
nachdem, von welcher
wissenschaftlichen Disziplin aus wir die Kultur betrachten, je nachdem
welcher Kultur wir angehören und auch vielleicht welcher Gruppe
innerhalb der Kultur (z.B. Staatsführung, Bürger,
Bürger einer anderen Kultur etc.) zu unterschiedlichen Definitionen der
jeweiligen Kultur. Es
ist also nicht nur zeitlich, sondern auch nach dem eigenen Standpunkt
und darüber hinaus vielleicht auch regional und nach
Gruppenzugehörigkeit zu differenzieren. Darüberhinaus sind Aussagen
über die Gegenwart schwieriger als über die
Vergangenheit. Historische Kulturen zu beschreiben erscheint einfacher,
da hier häufig mehr Informationen vorliegen, die
Informationen schon weiter ausgewertet wurden oder das Urteil der
Geschichte bereits gefällt wurde.
2. vermeidet, zu werten. Kulturen sind von einzelnen
(oft im Sinne von Kult) initiiert oder haben sich unbewusst kollektiv
ergeben bzw. wurden bewusst von Gruppen geschaffen. Letztlich sind alle
Kulturen künstlich, willkürlich und damit stets subjektiv. Daraus
ergibt sich,
dass Kulturen zwar verglichen werden können, aber nicht im
kulturrelativistischen Sinne bewertet, d.h. keine Kultur ist besser
oder schlechter als eine andere. Ein Freibrief für entartete Kulturen
ist dies freilich nicht. Wie auch bei der Freiheitsdefinition liegen
die Grenzen der Freiheit einer Kultur dort, wo sie die Würde des
Menschen verletzen oder andere Kulturen. Dies ist auch die feine Linie,
hinter der es sich, um einen politischen Ausdruck zu gebrauchen, um
eine 'Einmischung in die inneren Angelegenheiten' handelt: Wo Kulturen
Menschen oder andere Kulturen verletzen, ist eine negative Bewertung
dieser Aspekte der Kultur keine 'Einmischung in innere
Angelegenheiten', sondern eine notwendige Einmischung in gemeinsame
Angelegenheiten.
3. sich auch der Komplexität von Kultur bewusst bleibt. Natürlich gibt
es Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Kulturen, aber auch
innerhalb der Kulturen gibt es Abweichungen, so dass pauschale Aussagen
immer nur unter der Prämisse gemacht werden können, dass sie im Sinne
einer statistischen Normalverteilung signifikant häufig in einer Kultur
bestätigt werden können. Hier verweise
ich auf das Modell der Kulturlandkarten. Übrigens zeigt sich in diesen
Modellen, dass
Kulturen, je länger sie sich (größtenteils isoliert) entwickeln, umso
sinnentleertere Rituale und umso extremere Kulturphänomene entwickeln
(vgl. auch Hall: high-context cultures).
Somit verspricht also eine Auseinandersetzung mit der chinesischen
Kultur, die sicherlich als die homogenste, kontinuierlichste und nach
der Anzahl ihrer Mitglieder größte Kultur der Menschheit gelten mag,
eine Herausforderung zu sein.
Weiterführende Literatur: Hall, Hallpike, Luhmann
M.
W. 2009
Publications on the subject
- Martin Woesler, China's
contemporary culture. Underground culture and dialogue, Bochum
2004.6, ISBN 9783899660388, 52 pp., series "Scripta Sinica"
vol. 20
- - - -, A
new model of intercultural communication
– critically reviewing, combining and further developing the basic
models of Permutter, Yoshikawa, Hall, Hofstede, Thomas, Hallpike, and
the social-constructivism, Bochum 12.2006, 52 pp., ISBN
978-3-89966-188-0, series "Comparative Cultural Sciences" vol. 1
- - - -, The
phenomenon ,clash of civilizations' and the trend ,world culture'.
Cultural identity, cultural relativism, „the other“, rassism,
national pride, prejudices, integration, Bochum ²2005, ISBN
9783899661477, 58 pp., series "Scripta
Sinica" vol. 29
Research project: Re-defining
China’s identity at the beginning of the 21st century