[Allemand.] Kulturlandkarte Der Begriff der
Kulturlandkarte
bezeichnet ein digitales oder analoges
Informationsmedium, das eine oder mehrere Kulturen räumlich abbildet.
In der Regel ist die Abbildung zwei- bis dreidimensional, bei
dynamischen Kulturlandkarten sind Veränderungen in zeitlich geraffter
Abfolge erkennbar (Medium: Film). Die Kulturlandkarte unterscheidet
sich z.B. von der geographischen Landkarte einer Kulturregion dadurch,
dass die Koordinatenachsen keine geographischen Längen- und
Breiten-Ausdehnungen messen, sondern Codierungsgrad und Komplexität der
Kulturphänomene. Der Begriff und das damit bezeichnete Modell wurden
von mir 2006
eingeführt (siehe Literatur).
Kulturlandkarten werden heute zur
Visualisierung einzelner Kulturen
oder von Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen Kulturen im
Kulturvergleich eingesetzt. Sie sind Arbeitsmittel der interkulturellen
Kommunikation. Affinität zwischen Kultur(bereich)en wird durch
entsprechende räumliche Nähe zwischen mehreren abgebildeten Kulturen
dargestellt, Distanz durch entsprechende räumliche Entfernung. Den Kern
einer Kulturlandkarte bildet das transparent dargestellte
allgemein-menschliche bzw. die zufälligen oder durch Austausch
entstandenen Gemeinsamkeiten zwischen den Kulturen. Vom Kern
orientieren sich Kulturbereiche (Sprache, Küche, Beziehungen, Mode
etc.) in Form von sich in der Regel verdünnenden 'Armen' weg, die mit
zunehmender Distanz vom Kern kulturspezifischere Phänomene verzeichnen,
farblich durch eine stärkere Einfärbung in der für die jeweilige Kultur
gewählte Farbe gekennzeichnet.
Modellmorphologie Die erste interkulturelle
Kommununikation war nach Perlmutter (1965)
ethnozentrisch geprägt, dann wissenschaftlich und schließlich
dialektisch, Yoshikawa (1982) sprach schließlich von der dialogischen
Kommunikatin. Die graphische Darstellung dieser Kommunikation war immer
in Form von zwei gleich großen Kreisen, die Beziehungen wurden in Form
von Pfeilen dargestellt. Woesler (2006) stellte fest, dass Kulturen
Schnittmengen haben, dass in der graphischen Darstellung die Kreise
sich also überlappen müssten. Diese Schnittmenge wird schon allein
durch anthropologische Gemeinsamkeiten und Parallelentwicklungen
erreicht. Darüberhinaus stellte man fest, dass Kulturen stärker
binnendifferenziert werden müssen, Hofstede (2001) hat dies mit einem
Zwiebeldiagramm veranschaulicht (von innen nach außen die Kreise Werte,
Rituale, Helden, Symbole). Dies
wurde von Woesler (2006) in der Form der transparenten Mitte einer
Kultur (Gemeinsames/Paralleles) dargestellt, nach außen hin mit
deckenderer Farbe über die "sichtbaren Eigenheiten", "unsichtbare
Eigenheiten", bis zu "Extremen (Riten, Kult, Tabus)". Edward T. Hall
machte auch darauf aufmerksam, dass es Kulturen mit niedriger
Kontextabhängigkeit gibt und solche mit hoher Kontextabhängigkeit, dies
wurde von Woesler in Form von kleinen und großen Kreisen umgesetzt,
indirekte Kulturen beinhalten entsprechend mehr Informationen, direkte
Kulturen weniger. Schließlich ergab sich die Notwendigkeit, auch
einzelne Kulturbereiche stärker zu differenzieren, dies wurde graphisch
in Form von Ästen, die sich vom transparenten Zentrum anhand der Achsen
"Komplexitätsgrad" und "Codierungsgrad" nach außen bewegten, nach
Informationsmenge und Extremität der Kulturphänomene dünner werdend,
allerdings auch deckender in der Farbe. Begegnen sich nun zwei
solchermaßen dargestellte Kulturen durch die Trends Globalisierung,
Reisefreiheit und Internet, so ergeben sich Affinitäten (insbesondere
in der transparenten Mitte, in der eine Verständigung einfach möglich
ist) und Distanzen (vor allem bei extremen Kulturphänomenen wie Tabus,
in der eine Verständigung schwieriger möglich ist) zwischen den
Kulturen. Diese neue Darstellungsweise der Kulturen wurde mit dem neuen
Begriff "Kulturlandkarte" bezeichnet.
Fortschritt
gegenüber bisherigen
Kulturvergleichs-Modellen Geert Hofstede hat mit seinen 1982
zunächst vier Kulturkategorien
(Machtdistanz, Individualismus, Maskulinität, Unsicherheitsvermeidung)
umfassenden Punktemodell Nationalkulturen charakterisiert. Sein Modell
wurde 1994 von Michael Harris Bond in Hong Kong um die fünfte Kategorie
'Langzeitorientierung' erweitert, um auch Charakteristika asiatischer
Gesellschaften zu erfassen. 2007 wurde das Modell von Minkov um drei
weitere Kategorien erweitert: Ethnozentrik, Flexibilität und
Freizügigkeit, um auch Phänomene in slavischen, islamischen und
afrikanischen Gesellschaften abzudecken. Dieses Modell ist heute eines
der Standardmodelle des Kulturvergleichs, basiert jedoch teils auf
Daten aus den 1960er/1970er Jahren und beschreibt in der Realität nicht
(mehr) existierende Nationalkulturen. In der von Globalisierung,
Reisefreiheit und Internet geprägten Informationsgesellschaft des 21.
Jahrhunderts scheint es nicht mehr geeignet, die heute typischen
Mischformen und Binnendifferenzierungen zu beschreiben: Z.B. ist die
Machtdistanz vielleicht in der vorherrschenden Religion einer Kultur
groß, in der Arbeitswelt derselben Kultur aber klein. Ein Individuum,
dass als Kind in verschiedenen Ländern aufgewachsen ist, vereint
vielleicht einen Flickenteppich an Kulturlandkarten in seiner
individuellen Kulturlandkarte. Alle diese Phänomene lassen sich mit der
Kulturlandkarte detailliert darstellen. Ggf. sind mehrere Ansichten
derselben Karte zur Darstellung verschiedener Aspekte notwendig. Edward
T. Hall hat Kulturen nach den Kategorien Zeit (mono- und polychron),
Raum (z.B. persönliche und öffentliche Distanz) und Kommunikation (mehr
oder weniger stark kontextabhängig) eingeteilt. Auch diese Aspekte sind
im Kulturlandkarten-Modell darstellbar, darüberhinaus lassen sich
sowohl Zwischentöne wie bereichsweite Geltungsbereiche der Aspekte
darstellen.
M.
W. 2009
Veröffentlichungen zum
Thema
Martin Woesler: Martin Woesler: A new model of
cross-cultural communication –
critically reviewing, combining and further developing the basic models
of Permutter, Yoshikawa, Hall, Hofstede, Thomas, Hallpike, and the
social-constructivism, Berlin et al.: Europäischer Univ.verl., 2. Aufl.
2009 (1. Aufl. 2006), Reihe Comparative Cultural Science, vol. 1, ISBN
978-3-89966-341-9